Influencer unser auf Erden...

Unseren täglichen Horror gib uns heute.
Lasset uns beten:
Influencer unser auf Erden,
geheiligt werde dein Name.
Deine Botschaft komme.
Dein Post geschehe,
wie auf X so auf Facebook & Co.
Unseren täglichen Horror gib uns heute.
Und vergib uns unser Nichtstun,
wie auch wir vergeben unsern Nichtstuern.
Und führe uns nicht in die Freiheit,
sondern erlöse uns von dem Widerstand.
Denn dein ist das Wort und die Wahrheit
und die Genügsamkeit in Ewigkeit.
Amen.
In meinem letzten Beitrag rief ich, in meiner mir eigenen polemischen und selbstkritischen Art (die ihr nicht immer ernst nehmen müsst, aber könnt) nach dem Anführer. Angesichts der Aufgaben, die der Widerstand zu bewältigen hat, um die zurückliegenden und bevorstehenden Ungerechtigkeiten zu bestrafen und der Gerechtigkeit und der Wahrheit wieder den Weg zu bahnen, dachte ich mir, dass es dafür dringend eines Anführers bedarf.
Heute denke ich, es bedarf eines Märtyrers. Es heisst ja, dass Märtyrer dazu bereit sind, für ihren Glauben extrem zu leiden und sogar bereit sind dafür zu sterben. Die Geschichte der christlichen und islamischen Religionen kann eine lange Liste von Märtyrern aufweisen. Kein Wunder - da ging es ja auch um was und selbst heute gibt es immer noch religiöse Fundamentalisten, die bereit sind, sich für ihren Glauben zu opfern. Bitter. Dumm. Aber ist so.
Kann der demokratische Widerstand Märtyrer hervorbringen?
Natürlich nicht. Liebe Mitleser beim Verfassungsschutz - keine Panik. Das wird nicht geschehen. Ich werde es bestimmt nicht sein und ich sehe auch weit und breit keine Gefahr, dass es dazu kommen kann. Denn der Widerstand hat im Gegensatz zur Religion kein tiefes Fundament, kein Ziel vor Augen und kein eindeutiges Glaubensbekenntnis für das es sich lohnt, sogar sein Leben zu opfern. Der politische Widerstand weiss aktuell nur eines, dass er Dagegen ist. Aber es fehlt im etwas ganz wichtiges: Ein radikales, fundamentalistisches Dafürsein.
Wahre Anführer und Märtyrer findet man nicht am Smartphone, vor dem Rechner oder im gut ausgeleuchteten Studio vor der Kamera. Solche Zeitgenossen sind viel mehr unsere derzeitigen politischen Influencer, die sich auf Social Media im Widerstand befinden. Ein bereits faszinierendes digitales Arrangement aus Mensch und Maschine, welches die Empörung der Masse effektiv kanalisiert, ihr den Raum gibt, sich zu entfalten, darin aufzugehen, sich darin zu entladen und zu beruhigen.
Ist es nicht so, dass wir angesichts der dramatischen
politischen Entwicklungen
in unserem Land oft genug Statements lesen wie diese:
"Das ist doch zum verrückt werden. Ich könnte durchdrehen. Wie soll man da nicht irre werden?"
Und ist es es nicht so, dass sie uns mit Facebook, X, YouTube, Instagram, Telegramm & Co diese Art digitale Gummizellen anbieten,
in die wir uns freiwillig einweisen, um uns dort austoben zu können, damit wir uns selbst nicht gefährden und vor allem nicht die Gesellschaft?
Auch ich bin nur ein Gatekeeper. Es wäre vermessen, ich würde mich anders sehen.
Ok. Rein indirekt bin ich ein Bewahrer des Systems. Denn weder hat mich jemand dazu engagiert, noch habe ich mir den Gatekeeper Job aktiv ausgesucht. Aber weil ich mich seit Jahren hier und auf Social Media ziemlich deutlich auskotze und eifrig vor den Gefahren eines neuen Totalitarismus warne, ohne auch nur eine einzige Lösungen zu präsentieren, binde auch ich lediglich die Aufmerksamkeit von ein paar bekannten und unbekannten Followern. Wozu aber? Um ihnen mit meinen Posts meist ein gutes Gefühl zu geben? Weil sie sich dadurch nicht mehr so alleine fühlen? Oder weil sie sich dadurch einfach besser und befreit fühlen, weil...."ja, endlich sagt es mal einer laut und deutlich ohne Angst auf Repressalien". Das war es dann auch schon. Mein Job. Oder? Das System dankt. Danke Sven. Hätte ja auch schlimmer kommen können. Aber ein bissel Rummotzen sei erlaubt. Wir sind ja eine Demokratie.
Und so sehe ich auch die führenden und die recht prominenten Köpfe, des selbsternannten Corona-, Ukraine-Krieg und des allgemeindemokratischen Widerstandes, denen ich auf Social Media folge. Sie meinen es natürlich gut. Sie engagieren sich massiv. Sie sind täglich auf Sendung in immer neuen Formaten. Sie schreiben und reden sich den ganzen Frust von der Seele. Sie reden auf uns ein und reden viel untereinander und sie geben dem Widerstand seine Heimaten. Viele unterschiedliche Heimaten, damit auch jeder eine finden und es sich darin gemütlich machen kann.
Manchmal, wenn ich schlechte Laune habe und den politischen Widerstand besonders kritisch sehe, dann rede ich auch gerne von Widerstandsmarketing, das meines Erachten die vielen eifrigen politischen Influencer täglich betreiben. Es erscheint mir dann so, dass ein jeder versucht, sich selbst besser zu vermarkten als einen anderen oder dass man sich gegenseitig hofiert und promotet und die Personen im allgemeinen wichtiger werden, als die Botschaften. Ganz schön gemein von mir, denke ich dann wieder und frage mich, was ich denn eigentlich will? Was erlaube ich mir? Ich kleiner Wortmutler pisst den grossen Widerstandskämpfern einfach mal so ans Bein?
Ja. Denn ich will ein Ziel vor Augen haben und auch Menschen, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und ich will die Definition von Kampf.
Ist das schon Kampf was unsere Widerstandsprominenz da auf Social Media und gelegentlichen Offline-Events tut? Oder bedeutet Kampf nicht wesentlich mehr? Ich frage euch nur. Ich habe beim Kampf um die Freiheit oder beim Kampf für eine politische Idee ganz andere Kampfkünste in Erinnerung. Ich würde eher sagen, es ist so eine Art Petzen, Anschwärzen, mit dem Finger auf die Bösen zeigen und nicht mehr, was wir gerade tun. Ok. Das ist schon mutig. Ohne Frage. Das traut sich ja heute schon kaum noch einer, denn es kann ganz schnell den sozialen Status und den Job kosten. Aber Kampf ist das nicht. Zumindest nicht in meiner Vorstellung. Und nicht dass ihr denkt, dass ich ihn fordere. Nein - ich bin nur auf der Positionsbestimmung und bei der Frage: Was tun wir hier eigentlich und was wollen wir noch wie erreichen?
Ich bin ein leidenschaftlicher Zuschauer von B&B. Ich mag die beiden Protagonisten
Sven Böttcher und Matthias Burchardt
sehr und ihre zum Teil sehr emphatische, oft ironische, gerne auch sarkastische bis hin zur
zynischen Sichtweise und ihre
sehr kritische Analyse des aktuellen Zeitgeschehens.
Ganz besonders mag ich an Sven Böttcher seine Verzweiflung und Skepsis sowie seinen gepflegten Pessimismus, den ich mit ihm teile. Der nachfolgende Video-Beitrag auf den ich hier verlinke passt daher hervorragend zu meiner Erkenntnis: Es wird meines Erachtens noch viel schlimmer kommen und es wird auch dann keinen Anführer oder gar Märtyrer irgendeines Widerstandes geben, es sei denn die KI erfindet welche.
Ich habe es ja neuerdings mit der spirituellen Synchronizität und finde es erneut lustig, dass ich heute diese Video gesehen habe, nachdem ich gestern darüber nachdachte, erneut einen Beitrag über die Ziellosigkeit des Widerstands und die Märtyrer zu schreiben.
Wer das Video anschaut merkt, dass Sven Böttcher wohl das Gleiche umtreibt wie mich. Er fragt nach der Positionsbestimmung, nach dem eigentlichen Problem vor dem wir stehen und er fragt nach dem "Was machen wir jetzt?" Soll der Widerstand auf die Straße getragen werden, soll er richtig zur Sache und auf die Barrikaden gehen, oder soll er uns in die Spiritualität führen oder ganz banal einfach nur in den eigenen Schrebergarten?
Diese Frage versucht er hier mit Matthias Bröckers zu diskutieren, aber im Gespräch kommt er dann doch irgendwie vom Pfade ab, Was zurück bleibt, ist die Erkenntnis, dass man als Wissender, als alter weisser Mann, dann doch besser Tomaten einmacht und die Himbeer-Ernte vor Blattläusen schützt, während man ansonsten "nur" mit dem geschriebenen und gesprochenen Wort ein wenig weiter den Widerstand nährt und versucht den ein oder anderen noch aufzuklären. Ist das Kampf? Ein Ziel ist es auf jeden Fall. Ein legitimes. Ein nur allzu verständliches.
Und da bin ich wieder bei meinem Gebet und der täglichen Dosis Horror, die wir alle wohl mittlerweile brauchen. Die, die ihn verbreiten genauso wie die, die ihn dankbar aufnehmen. Mich erinnert vieles derzeit an die Systematik von Horrorfilmen. Denn die Psychologie weiss längst, dass es viele Menschen gibt, die das Gruseln regelrecht lieben und bei grausamen Horrorfilmen sogar im Nachhinein entspannen. Es handelt sich dabei fast schon um eine Art Selbst-Therapie. Angst in einer sicheren Atmosphäre zu spüren, habe eine therapeutische Wirkung und bewirke eine Katharsis. Schon Aristoteles soll in der antiken Tragödie bewusst auf das emotionales Abreagieren gesetzt haben, das die Zuschauer von inneren Spannungen und ihren Sorgen befreit.
Durch spirituelles Synchronizitäts-Zufalls-Reckerchieren landete ich heute auch auf einer tollen Webseite.
Dort las ich u.a. dieses: "Die Darstellung des Schrecklichen, das Bild des Grauens ist eine Auseinandersetzung mit der Angst, und diese Auseinandersetzung reicht zurück bis in die Uranfänge menschlicher Zivilisation und Kultur. Das fiktive wilde Tier an der Höhlenwand bedeutete ein Sichwappnen gegen das reale wilde Tier. Zugleich bedeutet es die Geburtsstunde des fiktiven Schreckens. Das wilde Tier an die Wand zu malen war eine versuchte, aber nicht vollends geglückte magische Erledigung der Angst. Was da half, mit dem Realen besser umzugehen, war immer noch ein Bild des Bedrohlichen. Es hatte immer noch Macht. Auch aufgund der primitiven Überzeugung, nach der durch das Bild das Wesen erscheint: “ (…) es ist also äußerst gefährlich, dämonische oder göttliche Wesen bildlich darzustellen. Man beschwört sie, indem man sie abbildet oder ihre Bilder aufstellt.“ (Van der Leeuw 1957, 169)."
Unseren täglichen Horror gib uns heute.
Kann es sein, dass es genau das ist, was die Eliten derart belustigt und sie motiviert, weiterhin Gas zu geben? Uns zu Erschrecken trifft exakt den wunden Punkt. Nämlich unsere Lust und Bereitschaft uns selbst zu erschrecken, uns auf die Angst und den Schrecken einzulassen, ihn zu teilen und zu vermehren und dadurch zu manifestieren? Ich zitiere erneut: "....es ist also äußerst gefährlich, dämonische oder göttliche Wesen bildlich darzustellen. Man beschwört sie, indem man sie abbildet oder ihre Bilder aufstellt.“ (Van der Leeuw 1957, 169)."
Nein es wird keinen Anführer geben und keine Märtyrer. Es wird nur weiterhin die vielen kritischen, sich gruselnden und Grusel verbreitenden Geister geben, die mit dem Finger auf den ganzen Horror zeigen und dabei nicht einmal wissen, wer ihn genau produziert.
Das ist dann so richtig gruselig - oder?
Und so folge auch ich mit leichten Schauder z.B. einem rhetorisch extrem begabten und richtigen Scharfmacher Paul Brandenburg, der kein Blatt vor den Mund nimmt und zuletzt den Artikel 20 des Grundgesetzes in Kraft "setzen sehen will" und das Recht zum Widerstand postuliert. Er tut das aus dem sicheren Ausland heraus, auf Social Media, und nicht etwa mit dem Megaphon vor dem Reichstag in Berlin.
Ich folge mit leichtem Schauder einem sehr sensiblen und engagierten Henning Rosenbusch, der sich vor seinen Followern offen folgendes fragt: "Ich überlege gerade, wohin die Reise gehen soll. Ich habe mich bisher bewusst dagegen entschieden, mich irgendwo fest niederzulassen, da ich flexibel bleiben will, nachdem ich ohnehin meine Wurzeln ausgerissen habe. Wer weiß schon, wo das nächste Schweden sein wird oder ob es überhaupt eines geben wird?"
Ich folge dem brennenden Kayvan Soufi-Siavash, der mich neuerdings auf seinem Weg zur Spiritualität mitnehmen will und der mich mit seiner gewaltigen, leidenschaftlichen Sprache stets berührt und am Ende doch in Angst und Schrecken versetzt, angesichts dessen was er kommen oder auch nicht kommen sieht.
Ich folge der wunderbaren, megaschlauen und meist fröhlichen Milena Preradovic, die tolle Interviews macht und spannende Gäste einlädt und mir ebenfalls aufzeigt, wie gruselig doch die Welt das Draussen ist und es einfach nicht besser wird.
Ich folge der Weltwoche, Tichys Einblick, den NachDenkSeiten, oder achgut.com und wem eigentlich noch alles an alternativen Medien, die mich ernsthaft und seriös, umfassend beunruhigen und mir das ganze Elend unserer Politik vor Augen halten: die Korruption und die zunehmende Gewalt der selbsternannten Demokraten. gegen die Würde und die Freiheit des eigentlichen Souveräns.
Ich folge Jasmin Kosubek, die mit ihrer oft offenen, fröhlichen und wunderbar naiven Art durchaus auch Optimismus verbreiten will und mit ihren inspirierenden Interviews dem ganzen Horror durchaus einen gewissen Charme und Glanz verleiht.
Ich folge, wie bereits gesagt mit unglaublicher Freude am gemeinsamen Sonntags-Gruseln B&B, die den Horror gerne auch mal mit dem Skalpell sezieren und mir die verlogenen Innereien der deutschen Politik vor Augen halten.
Ich folge Flavio von Witzleben, der mich mit seiner sanftmütigen Art und vielen schlauen Interviewpartnern auf eine besonders feinsinnige Art und Weise zum Gruseln bringt.
Ich folge Stefan Homburg, der mir in seiner meist nüchternen Art, extrem sachlich und umfassend informiert seine ihm ureigene Horror-Show liefert, sowie einem Bastian Barucker, der wie sein braver Schwiegersohn wirkt und nicht minder trocken für Angst und Schrecken sorgen kann.
Ich folge selbst einer Aya Velázquez und ihren meist sehr detaillierten Schreckensmeldungen, die ich nicht selten als extrem anstrengend empfinde, weil sie so sehr mit der Person selbst verbunden erscheinen und weniger mit dem Horror an sich.
Ich folge auch Gerald Markel, der stets schwer empört und sehr treffend den ganzen Schrecken aufarbeitet und pompös auf seinem Facebook-Kanal verbreitet.
Und last but not blast folge ich Ricardo Lerida, der mich mit seinen Posts regelmässig erschaudern, lachen, verzweifeln, hoffen und doch wieder trauern lässt.
Ganz ehrlich - ich folge so unglaublich vielen Influecern und kritischen Denkern im demokratischen Widerstand, dass ich hier nicht alle nennen kann, ohne noch ein, zwei Stunden weiter zu tippen.
Doch ich möchte nun zum Ende kommen und mir eine Flasche Rotwein öffnen. Ich möchte auf alle, die ich hier erwähnt habe und auch auf die, die ich nicht erwähnt habe, durchaus dankbar anstossen. Ich stosse darauf an, für das was sie in den vergangenen Jahren für die Aufklärung geleistet haben und immer noch tun. Denn ich denke sie tun es alle aus der tiefen Überzeugung heraus, dass wir diesem ganzen Horror, in dem wir gerade stecken, ein Ende bereiten müssen. Auch dieser Horrostreifen braucht ein Happy End. Sie tun das, was sie tun können aus der Überzeugung heraus, dass unsere Freiheit und Demokratie bedroht ist wie lange nicht mehr, vielleicht wie nie zu vor. Deshalb kommt es auf jeden von ihnen an. Vielleicht sogar auch auf mich (?), der sich immer wieder, sich selbst nervend fragt: Was ist unser Ziel. Wofür kämpfen wir gemeinsam. Für wen und wann brechen wir auf, um im Widerstand nicht nur zu leiden, sondern zu siegen.?
Ich werde einfach die Frage nicht los. Reicht das? Machen wir so weiter? Ein jeder für sich im Grossen und im Kleinen. Oder brauchen wir nicht den Anführer und einen Märtyrer? Brauchen wir nicht wenigstens diese, meist nur eine Figur, die am Ende auch in jedem Horrorstreifen dem Horror ein Ende setzt?


